Mittwoch, 8. Februar 2017

Träume bei Wilhelm Jensen

Träume bei Wilhelm Jensen I
Vorbemerkung:
Seitdem Sigmund Freud 1907 Jensens späte Novelle „Gradiva“ (1903) als literarischen Beleg für seine psychoanalytische Theorie obsessiver Träume untersuchte und damit auch Jensens Nachruhm als Autor sicherte, hat niemand versucht, sich angesichts von dessen fast 150 Veröffentlichungen einen Überblick über die Typologie und Funktion von Träumen in jenem breiten Panorama der Werke zwischen 1872 und 1911 zu verschaffen, die man der literarischen Strömung des poetischen Realismus zuordnet und die, wiewohl thematisch historisierend durchaus viele Aspekte zeitgenössischer Probleme berührten und kritisch darstellten wie z.B. die gesellschaftlichen Hemmnisse bei der psychologischen Entwicklung Heranwachsender. Wilhelm Jensens Träume aus dichterischer Intuition, nicht aus psychoanalytischer Intention stehen im Zusammenhang mit den Personen und deren Handlungen in seinen Romanen. Bisweilen liefert er auch Deutungen eines „Unbewußten“ im vorfreundianischen, auch schon kollektivem Sinne  als begrenzte „couleur locale“ dazu.
Die Traumpassagen sind in den Novellen und Romanen nur kurz und durchbrechen die epische Realität als zu dechiffrierende Parallelen. Visionäre Begegnungen mit geliebten, jedoch unerreichbaren Frauen leiten sich zuweilen von Statuen oder Bildnissen ab – ganz im Sinne Eichendorfs, dessen Novelle „Das Marmorbild“ vielleicht Jensen dazu literarisch inspiriert haben könnte.  Aber es gibt auch ganze Erzählungen wie „Ein Traum“ oder „Jugendträume“ (beide 1882) In Jensens Konzept des poetischen Realismus verbindet und erweitert die Phantasie die oft reduzierten historischen Fakten. Seine grundsätzliche Perspektive ist eine duale mit einer Vorliebe für Doppelungen und Inversionen von Konflikten und sogar Personen mit Titeln wie z.B. „Versunkene Welten“ (1881), mythologisch motivierten „Metamorphosen“ (1881) oder „Doppelleben“ (1890).
Die folgende erste Anthologie versucht, Träume bei Wilhelm Jensen zu präsentieren, wobei die kontextuelle Verflechtung knapp angedeutet bleibt.



Das Tagebuch aus Grönland, B. I, S. 41/42 (1885)
   Es hat etwas höchlich Eigenartiges, Freund Ruben, hier am Rande der belebten Welt zwischen ewigem Schnee und Eis zu sitzen und die Zustände jenes Landes, in dem ich einige Zeit gelebt, kaum mehr von tellurischem, sondern fast von einem siderischen Standpunkt zu betrachten.
   Sie gehen mein eigenes Dasein gar nichts an, liegen wie eine vergilbte geschichtliche Überlieferung vor meinem Blick. Am meisten gleichen sie bunten ineinander verschobenen Traumgebilden. Man hat während des Träumens wohl zuweilen mehr oder minder deutlich ihre wiedersinnige Thorheit empfunden; doch erst beim Erwachen erkennt man klar, unter welchem barock-garstigen Mummenschanz alberner, toller und menschenunwürdiger Gedankenvorspiegelungen man verweilt hat. In der hiesigen/stahlhellen Luft befindet sich keinerlei Dunst, um Augen, welche ein Verlangen nach richtigem Sehen in sich tragen, mit falscher Lichtbrechung zu täuschen.

Runensteine S. 1-6/320 (1888)
[Traum als Einleitung zum Romangeschehen: Knabe am Meeresstrand, Entrealisierung, Entgrenzung von Raum und Zeit, visionäre Begegnung mit drei „schauenden“Frauen auf den Runenfelsen als allegorische Nornen ]
   Ich ging im Traum am weißen Meeresstrand, wo ich als Knabe oft nach Muscheln und buntem Steinglanz gesucht. Zu meiner Rechten fiel der alte Dünenhang, von Fluten der Jahrtausende abgeschwemmt und unterhöhlt, steil herab; graue Stämme hoben grüne Wipfel hoch von ihm auf, doch da und dort krümmte sich ein bloßgelegter Teil ihrer Wurzeln, des Erdreichs beraubt, schon ins Leere. Auch Saat mit leis wogenden Halmentrat bis zum Absturz heran und bog sich über ihn nieder; hin und wieder lagen einzelne halbgereifte Ähren, vom Rande gefallen, drunten im Sand und Kies. Mir zur Linken kamen die Wellen in immer gleicher Gestaltung, mit immer gleicher Farbe und gleichem Ton. Sie rannen ans seichte Ufer, waren ausgelöscht und waren doch wieder da. Ihr Gemurmel vermischte sich mit dem Summen des Windes, wie das Spiegelblau des wolkenlosen Himmels auf dem Rücken der See mit dem Strahlenrückglanz der Sonne ineinanderfloß. Weit hinter mir verschwanden die letzten Strohdächer eines Fischerdorfs, klein und unkenntlich, doch noch ferner vor mir bildete am ausgeschweiften Hafenrande einer Bucht ein jäher Abfall gegen den Horizont scheinbar das Ende des Landes. Er sah bläulich überduftet aus, wie kaum erreichbar. Doch ich wollte bis zu ihm hin, denn ich hatte ihn immer nur gleich einem Geheimnis in der / Weite gesehen, und ein nicht mehr überwindbarer Drang in mir trieb mich, den nebelnden Schleier von ihm zu lüften.
   Ich war wohl ein Knabe, aber mein Fuß zog schwer durch den mahlenden Sand, und Müdigkeit lag auf mir, als trügen Leib und Seele die Last eines langen Lebens. Nichts, meinem eigenen Wesen ähnlich, regte sich um mich her, nur ein großer, hellgefiederter Vogel zog langsamen Flügelschlags am Ufer auf und ab. Er überholte mich, wendete sich und kam mir entgegen und begann den gleichen Gleitflug neben mir aufs neue. Dann und wann ging sein Ruf über die Einsamkeit von Strand und See; ich fühlte, daß er eine Sprache rede, doch ich verstand sie nicht. Was mir schien, war, er suche mich zu warnen, den Weg oder die Weglosigkeit vor mir weiter fortzusetzen. Und immer auch blieb mein Ziel in der nämlichen Weite, obwohl rückwärts längst Alles verschwunden, was meinen Ausgangspunkt gedeutet. Kein Merkmal eines Unterschiedes war um mich, mein Tritt hinterließ keine Spur im Sande, und seltsam verharrte die Sonne unverrückt an derselben Stelle im tiefen Ätherblau. Ich mußte viele Stunden zurückgelegt haben, aber allmählich zerrann in mir selbst gleichfalls das Maß dafür, es konnten auch Tage, auch Jahre gewesen sein. Und plötzlich fiel es mit einem Schauer der Erkenntnis auf mich, ich war in ein Gebiet gelangt, in welchem Zeitlosigkeit waltete.
   Da hatte ich auf einmal den fernen Absturz erreicht, nach dem ich getrachtet. Er sprang weit in die See hinaus, fahl und kahl, nur hier und da von blaß-grünem Schilfgras überflimmert, todeseinsam, ein Ende der Welt, denn Nebelluft breitete grauen Vorhang hinter ihm. Zu seinen Füßen ragten drei mächtige Bauta- oder Runensteine, halb in den Grund eingebettet, schwarzfarbig aus dem Wasser herauf. Sie erschienen gleich Riesenblöcken eines Hünengrabes von gigantischer Größe;/ murmelnd kamen die Wellen und raunten leis verworrenen Klang an ihnen empor.
   Mir aber blieb nicht Zeit, an das tote Gestein zu denken. Es saßen drei Gestalten auf dem alten Geblöck, ganz nackt, ihre Füße tauchten in die kristallen-durchsichtige Flut, der Sonnenglanz umfloß blendend mit goldenem Strahlenschleier ihren weißen Leib, und Wind spielte durch die Haare des Scheitels. Waren es Nymphen, aus der Meerestiefe heraufgestiegen? Sie gingen über Weibesgröße hinaus, ich hatte niemals ähnliches, dem Leben Angehörendes gesehen; jede von ihnen war, wie Menschenvorstellung durch Künstlerhand aus Marmor die Hoheit von Göttinnen gebildet. Nur das Antlitz und sein Ausdruck unterschied sie.
   Die Erste trug dunkles, fast nächtig schwarzes Haar zu ernster Tracht um das Haupt gefesselt. Ihre Züge waren unbeweglich ruhevoll, wie die sterngleichen Augen, die sich über die unabsehbare Weite des Meeres fortrichteten. Sie gewahrten nichts um sich her; ihr Blick ward von einer Leuchtkraft aus dem eigenen Innern erhellt, doch auch ein fremdes Licht, das, mir nicht sichtbar, von unendlicher Ferne kommen mußte, spiegelte sich zwischen ihren weit offenen Lidern. Ein schwärmerischer Glanz ging aus ihnen hervor, aber ohne Wärme, wie Sterngefunkel einer Winternacht streng und kalt.
   Den Scheitel der zweiten deckte blondes Haar, allein so ins Graue streifend, daß es fast von Aschenfarbe schien. Es gab sich ohne Ordnung dem Zufall preis, ließ sich flatternd von der Willkür des Windes bewegen  und warf über das jugendliche Gesicht Schatten, wie Faltenstriche des Alters. Ihre Augen nahmen auf, was um sie lag, doch sie waren glanzlos stumpf, leer und gleichgültig. Auf den Lippen lauerte eine Regung des Gemütes, aber wenn sie zum Laut wurde, konnte er sie nur in ein Wort bitteren Hohnes umsetzen.
   Die Steine lagen zu einem Dreieck gestaltet, und / zugleich zwischen jenen beiden und beiden gleichmäßig entrückt, saß die Dritte. Ihr fiel reiches, goldlichtes Gelock bis über den Nacken und die Schultern herab, als ob die Sonnenstrahlen sich um sie gelegt. Und so glichen auch ihre Augen dem Blau des Himmels, mildleuchtend und weich. Sie erschien am meisten wie ein irdisches Weib, die schöne Doppelbrust hob sich von lebensvollem Atemzug, und es war, als sehe man unter ihr ein weiches Klopfen des Herzens. In dem Antlitz mischten sich zu wundersamer Vereinigung Glück und Trauer, Freudigkeit und Wehmut; man wußte nicht, ob die rotblühenden Lippen sich zum Lachen oder zum Weinen regen wollten. Ein warmer, lieblicher Anhauch ging von ihnen, von aller körperlichen und geistigen Wesenheit der holden Gestalt aus, und doch redete verschwiegene Hoheit auch in ihren Zügen. Nur gedachte sie derselben nicht gleich den beiden Anderen, sondern trug sie unbewußt in sich als Mitgift ihrer Natur.
   So saßen die Drei auf den Runensteinen der Vorzeit zwischen See und Sand, in Wind und Sonne. Sie schwiegen, und Himmel und Erde waren ohne Lat. Von anschauendem Staunen bewältigt, stand ich lange, bevor ich zu fragen vermochte: „Wer seid Ihr?“ Doch sie gaben keine Antwort, regten sich nicht, verwandten ihren Blick nicht aus der Richtung, in die er sich geheftet hielt.
   Da scholl ein leises Rauschen an mein Ohr, und wie ich emporsah, stand flügelschlagend über mir in der Luft der große, weißbrüstige Vogel, der lange meiner mühsamen Wanderung das Geleit gegeben. Er stieß ein paar Rufe auf mich herab, scharftönig, doch verklangen sie sonderbar matt in der toten Öde umher. Aber ich verstand jetzt plötzlich ihre Sprache, sie sagten:
   „Du hörtest nicht auf meine Warnung, denn es ist für deine Art besser, nicht hierher zu kommen. Nun bist du bei den drei Schauenden, die von Anbeginn auf die / Wiege eures Geschlechtes blicken. Unbeweglich sind sie selbst, zeitlos und ewig, doch in eurem vergänglichen Blut kämpfen sie die Gegnerschaft aus, die sie unversöhnlich voneinander scheidet. Wiederhole deine Frage nach ihrem Tun dreimal, und sie werden dir Rede stehn.“
   Ich tat nach dem Geheiß und fragte die Erste: „Was tust du?“ Als ich es zum drittenmal gesprochen, wandte sie langsam den Kopf, kurz strahlten ihre kaltglänzenden Augen mir ins Gesicht, und sie erwiderte mit metallener Stimme gleich dem Anschlag einer Erzglocke:
   „Ich schaue die Ewigkeit des Lebens.“
   „Und du?“
   Gegen die Zweite gekehrt, frug ich’s, und auch sie drehte mir kurz die ausdruckslose Leere ihres Blickes zu. Ihre Stimme gemahnte gleichfalls an den Ton einer Glocke, doch an eine von innerem Durchsprung zerspaltene; damit gab sie Antwort:
   „Ich schaue die Nichtigkeit des Lebens.“
   Nun sah ich fragend auf die Dritte. „Was bleibt dir noch anderes zu tun übrig?“
   Da wendeten sich ihre Augen mir entgegen, warm wie die Sonne des Frühlings und blau gleich seinen Veilchen. Mein Herz erzitterte seltsam unter dem Blick süß und bang, denn es ward aus ihm von allem durchflossen, was es je in sich empfunden. Und eine weiche Menschenstimme sprach – und wieder klang es mir bis ins Herz, wundersam von seliger Wonne und tiefem Weh zugleich durchbebt:
   „Ich schaue die Flüchtigkeit des Lebens.“
   Mir aber flog von den Lippen, aus tief aufatmender Brust: „O du Liebreiche, Hohe, du Göttlich-Menschliche, laß mich dir noch ins schöne, beglückende, trauernde Auge sehn!“
   Doch in meinen sehnsüchtigen Ruf hinein stieß der Vogel schrill einen Schrei herab, und im Nu wie eine Wand kam der graue Nebelvorhang daher und legte sich / zwischen mich und das alte Meergestein. Die Sonne war plötzlich weitergeschritten, als sei sie unter den Horizont niedergefallen, letztes Dämmerlicht übergraute den Himmel. Unsichtbar rollten die lauter rauschenden Wellen mir vor den Fuß, der Wind murrte drüber, und einsam stand ich am öden, nächtigen Strande.
[Zu Anfang einer historischen Erzählung des Widerstandes gegen die napoleonische Besetzung einer ostfriesischen Insel folgt der Erzähler den Spuren seiner Vision und trifft auf einen Eingeweihten, der ihm ein Manuskript überläßt mit einer narrativen Illustration jener drei Schauenden von Ewigkeit, Nichtigkeit und Flüchtigkeit]
   S. 24 f.: „ Den Anlaß [für die Kontaktaufnahme] dazu bildete im Grund etwas Wunderliches, nämlich ein Traum.“
   Er nickte mit dem Kopf: „Ja, ein Traum kann wunderlich einen Antrieb verursachen. Das heißt, so willkürlich er erscheinen mag, sind wir selbst doch immer seine Urheber und bedienen uns manchmal seiner, um uns in seltsamer Form über etwas, das verworren in uns liegt, klar zu werden. Ich höre gern von Träumen besonderer Art, denn zwischen ihren sinnwidrigen, unmöglichen Sprüngen kommt nicht selten das unbewußte Denken und Empfinden des Menschen zum Ausdruck. Ein solcher Traum scheint der Ihrige zu sein.“…/ „Seltsam, sie haben sie auch gesehen? Das waren sie.“
[Der Traum von den „Schauenden“, die historisch politische und persönliche Realität überlagern sich angesichts der Bedrohung durch französische Rekrutierer in der unerfüllten Liebesgeschichte von Uwe und Teda während ihrer Flucht in die Dünen:],
S. 253 f.:
   So überkam beide allmählich der Schlaf, und auch der Traum gesellte sich hinzu. Den Umständen nach mischte dieser, wenigstens in den Vorstellungen, mit denen er Uwe umfing, bunt-sonderbare Dinge durcheinander. Er saß auf einem der drei Steine am Rande der Möweninsel, war Ferdinand von Schill und sollte französischer Soldat werden, um gegen Deutschland zu kämpfen. Aber aus dem Wassergemurmel unter seinen Füßen sagte eine Stimme, ihm könne noch Hülfe dagegen kommen, wenn er nach einem Hause gehe, was drüben irgendwo liege. Das tat er, wanderte lange über den Wattengrund, immer zwei begleitende Gestalten neben sich, die er indes nicht sah, nur bei jedem Schritt gewahrte er die kinderhaft kleinen Fußspuren, die sie in dem feuchten Sande hinterließen. Dann jedoch war er in dem Hause angekommen, saß mit vielen schweigsam-wortkargen Männern zusammen und beriet. Sie kamen zu keinem Ergebnis, bis die nämlich Meeresstimme wieder, doch diesmal von dem Munde einer Frau sprach, so helfe es nicht, er müsse mit Jemand fortgehen und sich in die Düne legen, um die richtige Maßregel auszufinden. Auch das geschah, und er ging mit seiner Begleiterin davon, aber diese war wieder unsichtbar, er fühlte nur ihre Hand in der seinigen. Nun streckten sie sich im Dunkel nebeneinander in den weichen Sand, über ihnen summte der Wind und jagte ab und zu ein kreischender Vogel. Sie ratschlagten zusammen, die neben ihm Ruhende hatte den Arm unter seinen Nacken gelegt und sagte, Schill dürfe sich nicht zu einemfranzösischen Werkzeuge gegen sein Vaterland machen lassen; wenn das geschehe, werde sie niemals seine Frau. Er antwortete: „Niemals, um keinen Preis!“ Es kam ihm aus der innersten Überzeugung, doch noch mehr klopfte ihm das Herz, denn sonst verliere er das höchste Gut des Lebens und sie werde nicht seine Frau. „Willst du’s denn sonst?“ fragte er mit / einem wundersam ruhevoll-seligen Pochen in der Brust und ihre Stimme erwiderte: „Ja.“
   Da schlugen Uwes Lider sich auf, und er wußte nicht, ob er geträumt habe oder noch im Traum liege. Alles um ihn war, wie es in diesem gewesen. Er fühlte sich in der Düne hingesteckt, über ihm murrte der Wind, jagten die Möwen, unter seinem Nacken lag ein halb abgesunkener Arm. Nur herrschte kein völlige Dunkel mehr, ein kaltbleicher erster Frühschein kam vom Osthimmel.
   War er Ferdinand von Schill oder nicht? Aber er wußte, wer neben ihm lag, den Arm um ihn hielt; er hatte auf einmal bei dem letzten „Ja“ die Stimme erkannt, und noch mit dem seligen Glücksgefühl im Herzen hon er etwas den Kopf, um auch das Antlitz, von dem sie gekommen, zu betrachten.
   Seine Augen zuckten, stutzten plötzlich ungläubig; sie wiesen ihm im halbgrauen Schimmer das Gesicht der festschlafenden Teda, und es war doch nicht ihre, eine andere Stimme gewesen, die er gehört hatte. Sie klang ihm noch im Ohr, im Herzen nach.
   Nun fiel der Traum von ihm, er erkannte, daß ein solcher ihn getäuscht. Die Erinnerung kam ihm zurück, weshalb und wie er mit Teda hierhergegangen sei; …
   [Die Rahmenerzählung schließt mit der fast eine Generation späteren Suche des Erzählers nach den Runensteinen]
   S. 320: … modisch angezogene Badegäste kamen mir auf der Düne entgegen. Ich nahm ein Boot und suchte, gegen die Flut hinausrudernd, die kleine Möweninsel zu finden. Da stoben die Vögel wie einst, einem Schneegestöber ähnlich, vor mir auf, und am Nordrand ragten die drei schwarzen Steine halb aus dem Wasser. Todeseinsam, wie in meinem Traum, war es um sie her, nur ruhte niemand auf ihnen. Doch vor meinem Blick stand die alte Runenschrift des Lebens in sie eingeschrieben, an deren Verständnis die Menschheit sich seit Anbeginn müht, und deren Rätsel nur Eines, beglückend und tröstend, wenn nicht zu lösen, doch zu lindern vermag: Der irdische Herzschlag der Menschenliebe.

Unter heißerer Sonne (1868/ durchgesehen 1902, hier Ullstein 1911)
]Traum als hyperbolische Metapher für exotischer Eindrücke; Mittagstraum; Doppelungen und Visionen; europäische mythische Kompensation als Odysseus; Überlagerungen und Idealisierungen]
[Der Bremer Naturforscher Dr. Friedrich Woldmann fährt mit dem Dampfschiff „Asuncion“ den Orinoco hinauf und sieht zum ersten Mal den tropischen Urwald von „sinnbestrickender Schönheit“ (S. 6) und Fülle, als er am Ufer einen Jaguar erblickt]
   S. 9: Der „Herr Naturforscher“ strich sich mit der Hand über die träumerisch auf das gefleckte Raubtier gehefteten Augen und sagte, mit dem Kopfe nickend, leise in deutscher Sprache vor sich hin: „So stand’s vor mir in meiner Kindheit und lockte und winkte mit geheimnisvoller Hand und ließ mir nicht Ruhe, bis der Mann die Sehnsucht des Knaben zu befriedigen vermochte. Das sind die Gestalten der heißen Zone, zauberisch glühend und grausam erbarmungslos. Das ist die Leidenschaft der Natur, die der Norden nicht kennt und nicht begreift, und die doch die Wahrheit und den Kern des Lebens enthält.“…
   S. 12: Dann sah man einen Augenblick tief in das Herz der ungeheuren blühenden Einöde hinab, wo die Bäume ebenso schweigsam, ebenso bunt belebt standen, und es ging weiter, weiter wie im Traum der Kindheit.
… Da wieder, wie im Traum, blitzten weiße Punkte zwischen dem Gewirr am Ufer auf. Sie vergrößerten sich allmählich zu Häusern…
[Woldmann ist Gast im Haus von Don Amedeo Miguel di Velasquez, den er vor zwanzig Jahren als Knaben in Deutschland kennen gelernt hatte, und dessen schöner jungen Frau Donna Juana („aus Alabaster gemeißelt“, S. 43), die im Zentrum einer Abendgesellschaft („tertulia“) steht. Er wird ungewollt Zeuge intimer Vorgänge im Hause, einer Liebesbeziehung des Personals, der Langeweile der Hausherrin ohne Bücher, der Erzählung von Freitod einer verschmähten Spanierin. Donna Juana scheint deswegen tief  beleidigt, was Schuldgefühle bei Woldmann auslöst. Seine spanische Übersetzung de Odyssee läßt sie unberührt, wiewohl „flammend“ errötend (S. 66). Bei einem Spaziergang kommt er bei der Bergung einer Frauenleiche hinzu und erfährt die Hintergrundgeschichte: Diese verheiratete junge Tote namens Juanita habe sich kurzfristig in einen anderen verliebt, ward zurückgewiesen und es kam zum verzweifelten Entschluß, aus dem Leben zu scheiden. „Unsere Muchachas, die armen Dinger, haben heißes Blut in den Adern, und ein Blick, ein Wort reicht hin, sie in Brand zu setzen“ (S.76), läßt er sich belehren. . „..die sonderbarsten, wildesten Gegensätze des Lebens und des Todes durchwogten seine Phantasie und drängten sich in der glühenden, farbigzitternden Tropensonne aneinander.“ (S.77). Während eines Mittagspaziergangs unter Feigenbäumen drängt sich ihm immer wieder das Bild der schönen Toten auf.]
S. 79 f.: Er sah es gespenstisch vor sich im schimmernden Sonnenschein; auf den grünen glänzenden Fikusblättern zeichnete es sich mit den lang nachfließenden Haaren weiß, unheimlich und zauberisch zugleich, ab. Hastig trat er auf kaum fußbreitem Wege zwischen den hohen, wandartigen dichten Bäumen durch, um dem verfolgenden Bilde zu entrinnen. –
   Da stand es wieder vor ihm, aufrecht, wie aus Marmor gemeißelt, vom langen, glänzend schwarzen Haar umflossen, die funkelnden Augensterne starr auf ihn gewandt –
   Nur eine Sekunde, dann stieß das Marmorbild / einen Schrei aus und warf sich in dem gemauerten Bassin, dessen Boden von dem Wasser der hindurchgeleiteten Quelle bedeckt war, nieder.
[Er hat Donna Juana auf dem Weg zum Bad überrascht und seiner Ansicht nach zum zweiten Mal tödlich beleidigt. Verstört flüchtet er aus dem Haus in den abendlichen Urwald.]
   S. 81 f.: Aber ihm war alles gleichgültig geworden, das Leben und die Zukunft; er suchte Ruhe, Schlaf, Vergessen. Der Schlaf kam über ihn, doch die Ruhe und das Vergessen nicht. Halbverklungene Erzählungen von dem unversöhnlichen Haß und der Rache beleidigter Kreolinnen verfolgten ihn im Traum; dazwischen stand immer wieder die weiße götterschöne Gestalt in dem dunklen, kühlen Raume über der murmelnden Quelle und sah ihn mit glutfunkelnden Augen an, starr und brennend wie die Pantherin aus dem Dickicht, als er über den Bord der „Asuncion“ gelehnt. Dann stieß sie einen Schrei aus und verschwand.
   Nein, sie verschwand nicht, sondern sie lag am Flußufer ausgestreckt, kalt und leblos, mit nachschleifendem, triefendem Haupthaar. Eine gelle Stimme rief: „Wehe über den Mörder! Um seinetwillen / hat sie sich getötet, er hat sie beschimpft, meine süße Juanita!“ Und plötzlich funkelte es aus der Menge von blitzenden Dolchen um ihn her.
[Er erwacht etwas ruhiger, mißt sich keine Schuld zu, weil fremd und der Landessitten unkundig. Er kehrt zur abendlichen Tertulia zurück, wo man sich nicht um ihn kümmert. Donna Juana habe sich den ganzen Tag auf ihr Zimmer zurückgezogen, wo er sie unbemerkt mit lautem Herzklopfen beobachtet.]
   S. 89 f.: - was war diese anmutige, spitzenumflatterte, rauschende Gestalt [der kreolischen Dienerin] gegen das hohe, traumhafte Venusbild mit den weißen, schaumgeborenen Göttergliedern, von dem ihm immer mehr war, als winke es schon aus unendlich ferner Zeit, wie aus einem Traum der Kindheit herauf. Verschleiert, wolkenhaft, wie in Nebel eingehüllt kam es heran, langsam durch die Jahre daher, über Meer und Lande, und ein Gewebe um das andere fiel herab, daß es hervorzuschimmern begann, undeutlich erst, doch allmählich heller und wundersamer. Und je klarer das Bild wurde, um so mehr verdichteten sich hinter ihm die Schatten, daß es in zauberischer / Schöne gegen den dunklen Hintergrund hervortrat. Dann plötzlich, wie Wolkengetümmel vor dem geisterhaften Strahl des Vollmonds, zerriß der letzte Schleier, und auf einsamem Piedestal stand das Götterbild aufgerichtet, das ewige, alturalte, vor dem seit dem Beginn des Lebens alle Völker des Erdballs die Knie gebeugt – und es durchschauerte den einsamen Träumer, der , mit geschlossenen Lidern an den Türpfeiler gelehnt, Zeit und Raum um sich vergessen, daß er von seinen eigenen Phantasien entsetzt aufschrak und besinnungslos wieder in die dunklen Augen Donna Catalinas hineinstarrte, die mit einer leichten, deutungsvollen Neigung des Kopfes lächelnd an ihm vorüberschritt und die Tertulia verließ.
[Diese, als  kreolische Dienerin verhüllt, versucht ihn in der dunklen Krypta der Kirche, zieht ihn an sich, küßt ihn mehrmals, als der Schleier herabsinkt und er sie erkennt, sich befreit und ihr erklärt, er liebe sie nicht, wobei er indirekt seine Liebe zu Donna Juana gesteht. Als sie flieht, ruft er ihr haltlos nach, daß er sie doch liebe, denn eine „tödliche Sehnsucht durchströmte ihn“, er „lag zum ersten Male in den Banden einer Leidenschaft, die er bis jetzt nicht gekannt“, S.99.]
   S. 99 f.: Der Mond überglänzte jetzt aus dem azurblauen Himmelsgewölbe mit silberweißem, fas taghellem Schein die tiefe Ruhe der Tropenwelt. Der junge Gelehrte stand am Flusse und schaute träumerisch hinauf und hinab auf die wallenden, lichtzitternden, überstürzenden Strudel des Gewässers. So wallten, zitterten und überstürzten sich seine Gedanken und Phantasien. Doch allmählich verschwammen in dem beruhigenden / Glanze der Nacht die beiden Traumbilder seines Herzens zu einer einzigen wundersamen, alles umfassenden Gestalt, unnahbar majestätisch wie Phöbe, die kühlblickende Göttin der Nacht, und doch wieder glühend, versengend in heißer Leidenschaft wie die Sonne des Mittags.
   Nur ein Traumbild der Sehnsucht war’s – wo war sie, die beides vereinigte?..
[Es folgt eine Begegnung mit Donna Juana im Hause, die ihm nicht zürnt, daß er ein Liebesverhältnis mit Donna Catalina angeknüpft habe. „ Woldmann fühlte, daß ihm vor Scham, vor Ärger und wahnsinniger Leidenschaft die Tränen in die Augen traten“. S. 103.]
   S. 110 ff.: Doktor Friedrich Woldmann hatte einen seltsamen Traum. Über die versunkene Atlantis keuchte die „Asuncion“ daher. Da plötzlich versank auch sie, und er trieb allein auf weitem. Freundlosem Meere. Tage und Nächte lang; er wußte, es war / der Zorn der mächtigen Gottheit, der ihn verfolgte, denn er war ja Odysseus, der vielgewanderte, der
   „vieler Menschen Städte gesehn und Sitte gelernet“.
Doch nicht Poseidons Groll hatte ihn ins Verderben gestürzt, sondern eine hohe, dunkelblickende Meeresgöttin war es, die mit zürnenden Worten um ihn die Wogen peitschte. Über ihren Nacken floß das aufgelöste schwarze Haar zurück, und sie sagte kalt mit gleichgültigen Lippen: Du wolltest mich verachten, Tor; lerne meine Macht kennen.“
   „Juana - Juana -„ stöhnte der Träumende.
Da hob sie sich in göttlicher Schönheit aus den grünen Wellen und rief: „Ich bin nicht Juana – Aphrodite bin ich, die du verspottest. Ich beherrsche die Wellen des Meeres und die Wogen des Blutes, und ich habe sie gesandt, dich an das Ufer zu tragen, wo meine Rache deiner harrt.“
   Aus den Lüften senkte sich eine Wolke herab und entrückte sie. Tage und Nächte lang trieb er kraftlos umher; dann warf ihn das Meer an fremdem / Gestade aus. Mühsam schleppte er sich in das Dickicht des Urwaldes und entschlief. Nun erwachte er von hellstimmigem Gelächter; verwundert betrachteten ihn die Bewohnerinnen des unbekannten Landes, eine weiche, kleine Hand zog ihn fort. Merkwürdigerweise durch einen langen, schmalen, finsteren Gang, an Gräbern vorüber – dann saß er am Herde des Alkinoos und wunderte sich über die Sitten und Bräuche und Lebensart der Phäaken. Alles um ihn her drehte sich um Scherz, Spiel und Tanz und „trefflichen Schmaus“ und kam ihm unwürdig und erbärmlich vor, wenn er des tätigen Lebens, das hinter ihm lag, der mancherlei Gefahren, die er bestanden, gedachte. Welchen Zweck diese Tätigkeit seines Lebens gehabt, stand ihm freilich nicht deutlich vor der Erinnerung; verschwommen nur entsann er sich, daß er lange Jahre hindurch Kollegien besucht und Nächte in einsamer Arbeit durchwacht, um eine Maschinerie für die Eroberung Troja zu erfinden. Nun saß er im Lande der Phäaken, und jedesmal, wenn er sich nur an einem Wettstreit, einem edleren Waffenspiel beteiligen wollte, einen Diskus vom / Boden nahm oder einen Speer ergriff, sagte der König Alkinoos, genau mit dem Gesicht und der Stimme Don Amedeos Miguel di Velasquez, zu ihm:
„Nehmt vor der Hitze in acht Euch, erfahrungsreicher Odysseus!“
   Das verdroß ihn allmählich aus verschiedenen Ursachen entsetzlich. Erstens, weil er sich trotz „unermeßlicher Speise und Trank“ zu langweilen anfing, und dann, weil die Phäaken ihn hartnäckig spanisch und „Vos“ anredeten, obwohl er ihnen mehrfach das Unklassische und Anachronistische dieses Benehmens auseinandersetzte. Nur Nausikaa, die ihn zuerst in den Palast gebracht, nannte ihn „Du“. Sie war sehr schön und trug immer eine rote Granatblüte an der Brust. Auch freundlich war sie gegen ihn, und ihre Augen bildeten den einzigen Grund, daß er seine Abreise immer noch von Tag zu Tag verzögerte und nicht das für ihn ausgerüstete, mit einem gewaltigen Dampfschlot versehene „Meerschiff“ bestieg. Doch dann traf er sie eines Mittags allein in der kühlen Halle. Die schöngegürtete Nausikaa saß / in einem Schaukelstuhl und fächerte sich mit einem breitgerippten Palmblatte frische Luft ins Antlitz, und er setzte sich ihr gegenüber und erzählte ihr vertraulich von seiner Heimat und der lilienarmigen Catalina, die auf Ithaka seiner harre. Er sprach so lange, daß er nicht wahrnahm, wie es immer dunkler um ihn wurde, die Sonne am Horizont versank und der Vollmond aufstieg. Und plötzlich stand Nausikaa, von weißem Licht überstrahlt, an einen Baumstamm gelehnt, vor ihm und sagte gleichgültig:
   „Ich wüßte nicht, er Euch hält, Don Odysseo, wenn Ihr Eurer Heimat gedenkt und fortreisen wollt. Warum macht Ihr mich zur Vertrauten Eures Jammers? Geht zu Eurer lilienarmigen Penelopeia oder Catalinea, die Euch erwartet. Gute Nacht, Don Odysseo - -„
   Woldmann wachte mit einem unwillkürlichen lauten Gelächter auf. „Die lilienarmige Catalinea,“ wiederholte er mehrmals fröhlich. [„lilienarmig“ ist bei Homer das Attribut Heras] Er sprang aus der Hängematte und trat ans Fenster. Es war ein Tropenmorgen, wie er vor vierundzwanzig Stunden / (S.115) gewesen, wie er nach vierundzwanzig Stunden abermals sein und, mit Ausnahme der Regenzeit, um diese Stunde bis ans Ende aller Dinge genauso wiederkehren würde. Aber es kostete den Erwachten trotzdem einige Zeit und Mühe, bis er sich überzeugt, daß er sich nicht bei der „Phäaken erhabenen Fürsten und Pflegern“ befinde und daß er selbst nicht der „Städteverwüster“ Odysseus sei. Unwillkürlich blickten seine erwachenden Augen nach dem „Buch der Bücher“ umher, und ihn überkam das Verlangen, das Original seines wunderlichen Traumes darin nachzulesen. Dann fiel ihm ein, daß es gerade die Odyssee gewesen, mit der er am Morgen vorher seinen verunglückten Versöhnungsversuch gemacht hatte.
[Der Hausherr geht auf eine geschäftliche Reise - in Wirklichkeit zur seiner Geliebten - und hinterließ die beiden Zurückbleibenden, d.h. Woldmann und die zornige und eifersüchtige Donna Juana, „in peinlicher Lage“ (121).]
   S. 125: Er verfolgte sie eine Weile mit den Augen; sie konnte nur zum vormittäglichen Bade hinübergehen, und das Bild vom Mittag zuvor trat wieder zauberisch vor seine Erinnerung. Der Traum der letzten Nacht vermischte sich damit; er sagte unwillkürlich „Nausikaa“ vor sich hin. In der Kleidung der Rückseite, im Gange, in der Haltung hatte seine schöne Wirtin unverkennbar etwas Antik-Klassisches.
[Woldmann beobachtet heimlich Umgang mit dem kreolischen Küchenpersonal, die ihn an die Art einer deutschen Hausfrau erinnert.]
   S. 129: Es war Doktor Friedrich Woldmann, als ob er niemals etwas Anmutigeres, Sanfteres, Einfach-Schöneres aus einem menschlichen Munde vernommen habe. Er fühlte nach seiner Stirn, ob er wieder träume – war diese Frau ein Proteus, der sich rastlos verwandelte und in jeder Stunde eine neue / Gestalt darbot, um seinem Herzen unablässig neu die Ruhe zu nehmen?...S. 131: Die hohe, mädchenhaft-liebliche Gestalt war eine Laune, eine flüchtige Blüte des heißen Bodens und sie haßte ihn - -
   Nein, er war unter den Tropen, wo es nur eine Wahrheit gab: die glühende, atemlose Herrschaft der Sinne – für ihn, den Fremdling, nur die üppig entfesselten, duftenden, berauschenden Haare Donna Catalinas.
[Auch Donna Juana hat in der Nacht einen Traum nach der Lektüre des „närrischen Buches“, S. 144: „ Ihr werdet sagen, wenn Ihr heimkehrt, daß Ihr im Lande der Phäaken gelebt, wie der Held dieses Buches..“. Sie bemängelt die spanische Übersetzung und Woldmann behauptet, daß es nur eine lebende Sprache gebe, Form und Inhalt wie in der Ursprache wieder zu geben, das Deutsche. Zum Beweis zitiert er auswendig die berühmten Abschiedsworte der Nausikaa zuerst auf Griechisch, dann in seiner Muttersprache, vgl. S. 147 ff. Sie fragt nach dem Schicksal der Nausikaa und zieht eine Parallele zur Ertrunkenen. Auch diese Szene kommt Woldmann wie ein „törichter, wesenloser Traum“ (S.150), vor. In Donna Juanas Seele würden „deutsche Perlen verborgen ruhen“, S. 151. Sie sucht die Auseinandersetzung mit der Rivalin Donna Catalina, verweist sie des Hauses und bereitet sich vor, auf eine Reise zu gehen ebenso wie Woldmann, der zu einer Dschungelexpedition aufbricht (Kap. IV), von der er nicht vor der Nacht zurückkehrt. Donna Juana bricht auf, ihn zu suchen, begegnet der Kutsche ihres Gattin und dessen  Geliebten, flüchtet sich zu hilfbereiten Indianern.
Woldmann hat die nächtlichen Gefahren des Urwalds überstanden und irrt einen zweiten Tag verloren und am Verdursten todmatt weiter, während die Sucher auf seine Spur stoßen. Nach einem Sturz vom Felsenglaubt er sich am Ende.]
   S. 221: Aber der Traum, der Vorbote des dunklen Bruders, den die Nacht bringen wird, umwirrt phantastisch seine Gedanken. Er atmet den berauschenden Duft des dunklen Haares [das er zu greifen glaubt], das ihn mit süßen Schauern umwogt; an seine Schläfen knistert das seidene Gewand, und die Arme Catalinas schlingen sich zauberisch betörend um seinen Nacken, doch seine / Lippen flüstern einen anderen Namen - leise, den letzten Laut, ehe die Nacht hereinbricht - „Juana  - - -„
[Diese verbringt die zweite tropische Nacht von Woldmanns Odyssee wartend am Flußufer in der Nähe von hilfsbereiten Ureinwohner . Da tauchen einige in der Frühe zusammen mit dem Geretteten auf, der daraufhin in einen todesähnlichen Schlummer fällt. Donna Juana hat beschlossen, ihr Haus und ihren Gatten zu verlassen und in eine andere Stadt zu ziehen. Sie geht zum schlafenden und offenbar träumenden Woldmann in die Hütte, um Abschied zu nehmen, als dessen Kopfwunde plötzlich aufplatzt. Er erwacht  „seine Lippen sagen glückselig, traumverratend, lächelnd: „Juana“(S. 240). Sie umarmt ihn in „glühender, namenloser Sehnsucht“ (S. 242). Zu Beginn des Kapitels VI wird Woldmann allein zu seinem Gastgeber zurücktransportiert, der pathetisch den Tod seiner Frau verkündet, die während seiner Geschäftsreise  allein in den Urwald gegangen und verschollen sei. Woldmann „war alles wie ein Traum, die letzten Tage und die letzte Nacht, ja sein ganzes Leben“ (S.258). Er fällt in einen endlich traumlosen Schlaf. Dies knappe Handlungsgerüst fügt sich in lange Passagen detaillierter Beschreibungen des Tropenwaldes. Neben der homerischen Analogie, d.h. einer Mythopoiesis, könnte man dies Bemühen um die wirre exotisch bunte Bilderwelt in ihrem funktionalen Bezug zu Woldmanns Passion durchaus als Oniropoiesis verstehen, also eines impliziten verbalisierten Träumens.
Am nächsten Morgen ist alles wie sonst, „Nur die Herrin des Hauses fehlte“ (S. 261), ihren Platz hat schon die Geliebte des Hausherrn eingenommen, weil Anstand und die Würde, so jener, es erheischten. Angeekelt verläßt er die Gesellschaft. Die neue Hausherrin versucht, ihn später mit einem Liebestrank zu verführen und Woldmann stößt sie brutal zurück. .
   S. 267: Ihm war, als sei er eben zum zweitenmal einem elastischen, farbig überglühten Sumpfteppich /  entronnen, jener trügerischen Bodendecke in der Tiefe des Urwaldes gleich, unter der es mit dumpffeuchter Moderluft heraufkam und, wie er einbrach und tiefer und tiefer sank, ekles Gewürm ihn von allen Seiten umwimmelte, während aus dem Dunkel die haltlos zusammengestürzten Stämme um so glänzender und verführerischer phophoreszierten, je verfaulter, innerlich vermorscht und verdorbener sie waren.
[Allein Donna Juana sei die Ausnahme -  aber “ hatte er deswegen das Recht, sie als sein Eigentum zu fordern, zu behalten, mit sich in den stillen, sonnigen Garten seiner Heimat zu tragen.. (S.269). Der Garten als Gegenbild zum Urwald taucht hier zuerst motivisch auf und antizipiert den bürgerlichen Schluß des Romans. Woldmann erfährt durch die alte Dienerin, Donna Juana sei seit Beginn seines Aufenthalts in ihn verliebt gewesen. Am nächsten Tag besteigt er die „Asuncion“: „“Vorüber, du buntes, zauberisches Geheimnis des Urwaldes!“ (S. 296). Er erhält jedoch eine Nachricht von Donna Juana, daß sie ihn in Havanna erwarte. In einem letzten  kurzen Traum (S. 291 f.) erlebt er noch einmal, wie er von seinen Rettern durch den Urwald getragen wird. Ein zweiter Brief erreicht ihn:
   S. 294: Leb‘ wohl, Geliebter, prüfe, ob der kurze Traum die Zeit, die Trennung, die Wiederkehr in Deine Heimat überdauert, den, ob Du kommst oder nicht kommst, , ewig fortträumen wird..“
[Wie irrsinnig schreit Woldmann auf und läßt sich nach Trinidad ausbooten.
Nach einem narrativen „Blanc“ finden wir Woldmann im verschneiten Deutschland bei der erneuen Lektüre eines vier Jahre alten Briefes von Don Amadeo, der in eine Scheidung eingewilligt hatte. Die Tür geht auf, Juana, der gemeinsame Knabe Fritz und seine beiden jüngeren Schwestern erfreuen sich an der deutschen Winterszene. 
   S. 304: [ Schluß in Antithese zum Romanbeginn, beide verbindend] Draußen fällt der Schnee auf deutsche Erde, und das frühe Dunkel kommt und die blasse Wintersonne verschwindet. Aber drinnen über dem engen Gemach wölbt sich der unendliche Azur des Äthers; mit silberweißem Lichte durchziehen ihn die ruhevollen  Gestirne der Nacht, und durch die Traumestiefen des Urwaldes murmelt der Waldstrom sein ewiges Geheimnis fort – dem großen Rätsel des Meeres entgegen.


Auf der Feuerstätte. Leipzig: Carl Reißner 1893, Bd. III, S. 191 ff.

Sprechen im Traum

In diesem völlig vergessenen, eindrucksvollen historischen Roman über den großen Hamburger Brand von 1852, der in der Großstadt Hamburg und südlich davon spielt und die Vorgeschichte der Katastrophe und die darin verwickelten Personen aus bürgerlichem Kaufmannsmilieu und adligen Hofbesitzern in den Vierlanden schildert, bricht das verheerende Feuer in der Deichstraße erst auf den letzten fünfzig Seiten (von rund 550) aus entsprechend dem Tragödienschema und motivisch mit einer aufflammenden, Standes übergreifenden Liebe.

Die im brennenden Haus der Kaufmannfamilie eingeschlossene Hedda kann im letzten Augenblick als einzige gerettet werden und liegt lange in todesähnlichem Schlaf.
Seit Aeneas’ Traumheimsuchung durch die verbrannten Troianer wie Hektor und Kreusa in Jensens Tragödie „Dido“ (1870) findet sich wohl keine längere Passage bei Jensen, wo die Traumbilder zu gesprochener Sprache werden. Waren es bei Aeneas noch Blankverse, so bricht hier konvulsivisch das Erlebte aus Hannas Taumbewusstsein hervor:

S. 191:

Der Feuerschein fiel duch das nach Osten gerichtete Fenster taghell mit rothem Glanz bis in die Stube herein, dann mischte sich ihm allmählich der Morgenschimmer des Himmelfahrtstages hinzu. Ob von dieser Veränderung des Lichtes vor den geschlossenen Augenlidern, oder wovon sonst, Hdda, die bisher unbeweglich und lautlos gelegen, begann mit dem Weitervorschritt der Morgenhelle unruhig zu werden. Im Schlaf rannen einzelne Töne und Worte über ihre Lippen; sie zuckte zusammen, bewegte sich; man erkannte deutlich, ein Traum versetzte sie heftig in (S.192:) in Erregung, führte ihr rasch wechselde Bilder an den Sinnen vorüber. Nun befand sie sich offenbar in dem brennenden Hause, sie stieß mit fliegendem Athem aus:
„Nein – nein – ich will nicht – lieber todt! Geben Sie mir meinen Brief wieder, Dependorp – Sie sind so gut – aber ich kann nicht. Sie wollen ein Herz von mir – aber ich habe keines – ich habe es verloren – da – da drüben im Moor – der ergeant weiß, wo – „
Ihr Mund murmelte etwas Unverständliches hinterdrein, doch dann warf sie ihren Kopf herum und rief:
„Fort – Dependorp – fort – schnell! Da die Mauer – sie bricht – um Gottes willen – Dependorp! Oh –“
Ein langgezogener Klagelaut folgte und etwas danach ein leises:
„Er ist todt – der Gute – er hat mich lieb gehabt. Aber ich konnt’es nicht – ich that’s nur, weil –„
Eine Zeit lang ließ sich weiter nichts vom Gerde der Träumenden verstehen, bis einmal eine deutliche, hörbar an eine andere Person gerichtete Frage kam:
„Wer sind Sie? Warum sprechen sie so sonderbar mit mir? Ich bin ja nicht Ihr Kind – und ich (S. 193:) fürchte mich vor Ihnen. Ihre Augen thun’s nur – wenn sie mich ansehen, muß ich. Nein, ich will nicht gerettet werden – wozu? – Lassen Sie mich auch verbrennen. Mir ist’s das Beste – und mit mir meinen Sie es doch gut. Warum, weiß ich nicht – ich fühl’s nur –„
Es schien, dass Hedda’s Erregung sich beschwichtigte, sie lag still. Aber plötzlich schrie sie laut auf:
„Nelly! – da ist sie – bei ihm in der Stube! Nein – nein – ich will nichts hören – er soll nicht über mich lachen. Ich bin eine Dienstmagd und war blind, thöricht im Kopf, zu glauben – nun ist er fort mit ihr. Da ist Herr Oskar – er hat den Riegel losgemacht und bringt mir das kostbare Armband. Wie’s am Boden springt und zersplittert! – Warum tritt der andere mit dem Fuß darauf? Was will er bei mir? – Weg – ich bin Dependorps Braut! Ich hab’s ihm geschrieben – nein, ich will’s schreiben –„
Da geriet es wirklich mit Beruhigung über sie, ihre Brust athmete langsamer, und ein veränderter Ton war’s, mit dem sie nach einer geraumen Pause hervorbrachte:
„Wer hat eben gefragt: Lebt sie?“
Wieder verging eine Weile, dann öffnete sich Hedda’s Mund noch einmal zu einigen Worten von einem tief ruhvollen, traumhauft seligen Klang: (S. 194:)
„Ja, Up die Füerstedt hieß es. Die Nacht war so warm – das kam von der Hand her, auf die er seine Schläfe gelegt. Bis zum Morgen – zum Morgen –„
Wie Morgenröthe am nächtlichen Horizont, dämmerte es leis um ihre Lippen herauf, deutlicher, ein spielendes, nun fast schalkhaft anmuthendes Lächeln, mit reizvollem Lebensausdruck das blasse Gesicht überhellend. Ohne sich zu regen, hatten Erna und Hartwig den Einbildungsvorstellungen der Träumenden zugehört, der Letztere mehr und mehr langhin verhaltenem Athems. Doch trotz seiner Unbeweglichkeit verrieth sich höher und höher in ihm aufsteigende innere Unruhe; seine Glieder durchlief ein Zittern, die Farbe seiner Züge wechselte hastig zwischen Röthe und Blässe. Nun sagte er unbewußt halblaut:
„Up de Füersted – ja, so hieß es.“ Er drehte den Kopf mit einem abwesenden Blick nach dem durch’s Fenster einfallenden rothen Flammenlicht: „Wie ein geisterhaftes Vorausklingen – „Auf der Feuerstätte“ –„
Da kam ein tief Athem holender Seufzer aus der Brust Hedda’s, sie schlug die Augen auf und fragte, das letzte von ihr im Traum gesprochene Wort wiederholend:
„Morgen – ist es denn schon Morgen?“ Nun erblickte sie Hartwig und setzte mit dem Lächeln um (S. 195:) um den Mund hinzu: „Sind Sie schon zum Gehen fertig, Herr Straßer?“ Aber gleich danach stieß sie, jäh zusammenschreckend, aus: „Wo bin ich? Was wollen Sie? Ich will fort – fort –„
Sie war wach, doch in anderer Art als bisher der Vernunftbesinnung beraubt. Aus iher Lage in die Höhe fahrend, warf sie die weiße Decke von sich, so daß ihre gelösten Kleider, herabfallend, einen rosigen Schein ihrer halb unbedeckten Schulter und Brust aufglänzen ließen. Aber nur einen Augenblick. Im nächsten hielt Erna sie, schlang rasch die Decke wieder um sie und sagte:
„Bleib ruhig, liebe Hedda – Du kannst so nicht – geh hinüber, Hartwig, ich will ihr bei Ankleiden helfen.“






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